Medizin, Pflege & Therapie

Telemedizin

Operieren in 5G

In China nehmen Fachleute medizinische Eingriffe aus Tausenden Kilometern Entfernung vor. In Deutschland steigt die Zahl dieser Robotik-OPs. Expertinnen und Experten sehen darin einen ­Meilenstein der Medizingeschichte.

Text: Alexander Nortrup / Illustration: Caro Holzapfel

Der Mann sitzt vor einem grau-weißen Riesenapparat und fixiert mit seinen Augen einen hochauflösenden Bildschirm. Seine Hände steuern mit feinen, kreisenden Bewegungen zwei Metallarme, die an den Steuerknüppel eines Flugzeugs erinnern oder an Joysticks, als würde der Mann mit schneeweißem Hemd ein Computerspiel spielen. Dass hier ein Arzt den Prostatatumor eines Patienten in 5.000 Kilometern Entfernung operiert, ist nur mit Fantasie zu erahnen. Und doch wird selbst die feinste Handbewegung des Chirurgen in der chinesischen Großstadt Guangzhou exakt von einem Roboter im weit entfernten Operationssaal in der ländlichen Region Xinjiang ausgeführt. Ein YouTube-Video der lokalen Klinik, das die beiden Bilder nebeneinanderlegt, beweist das eindrücklich. Möglich macht das alles ein Operationsroboter, den die chinesischen Mediziner selbst entwickelt haben. Und die schnelle 5G-Mobilfunktechnik, mit der sogar entlegenste chinesische Provinzen in hoher Bandbreite und mit geringer Verzögerungszeit erreicht werden können.

Wie sicher ist es, wenn eine Operation mithilfe eines Roboters ausgeführt wird? Was passiert, wenn die hochkomplexe Technik mitten im Eingriff zusammenbricht? Und welche Operationen werden tatsächlich schon so durchgeführt? „Im Vergleich zu herkömmlichen offenen Operationen ist das Gefühl der Präzision und Kontrolle beim Arbeiten am Roboter beeindruckend“, sagt die Heidelberger Oberärztin PD Dr. Magdalena Görtz, die seit vielen Jahren mit Robotern in der Urologie operiert und Mitveranstalterin eines Kongresses ist, bei dem Live-OPs auf große Distanzen gezeigt werden. Die Ärztin lobt die „hervorragende Sicht und die Beweglichkeit der Instrumente“. Während Roboter in Deutschland der Expertin zufolge bereits stationär in Urologie, Gynäkologie und allgemeiner Chirurgie für noch präzisere Eingriffe genutzt werden, sei Telechirurgie kein Thema: „Es gibt einfach eine ausreichend breite lokale Versorgung mit Operateurinnen und Operateuren sowie Robotern.“

„Wenn man unseren Forschungsstand hochrechnet, werden in vielleicht zehn Jahren auch OPs am Herzen auf Distanz möglich sein.“

Bastian Dewitz, Informatiker

„Rein technisch sind wir deutlich weiter als das, was offiziell erlaubt ist“, sagt Bastian Dewitz. Er forscht an der Uniklinik in Düsseldorf zu Telemedizin. „Wenn man unseren Forschungsstand hochrechnet, wird es in vielleicht zehn Jahren auch möglich sein, viele Spezialeingriffe routinemäßig aus der Ferne im lokalen Krankenhaus durchzuführen. Und dann werden etwa auch OPs am Herzen, wo es sehr viele sehr kleine Gefäße gibt und Dinge sich bewegen, auf Distanz möglich sein.“

Bastian Dewitz ist Informatiker, trägt gern Virtual-Reality-­Brillen und ist es gewohnt, Verbesserungen Schritt für Schritt zu sehen: „Man weiß natürlich nie, wie sich technische Trends entwickeln. Künstliche Intelligenz (KI) ist dafür ein gutes Beispiel: Vor drei Jahren kannte das nur eine Minderheit, seitdem eigentlich alle. In unserem Fall sind die Sensorik für die räumliche Erfassung des OP-Saals und die Kamerasysteme typischerweise ein bis zwei Jahre alt und werden kontinuierlich weiterentwickelt. Damit das alles immer besser klappt, braucht es Zeit und viel Geld für Forschung.“ Dass noch nicht alles perfekt funktioniere, habe auch mit dem allgemeinen Umfeld in Deutschland zu tun, sagt der 33-jährige Doktorand: „Die Digitalisierung kommt nicht so schnell voran wie gewünscht. Krankenhäuser arbeiten noch viel telefonisch oder per Fax, also mit jahrzehntealten Standards.“ Zudem seien einige Häuser im IT-Bereich tendenziell unterbesetzt.

„Ich sehe großes Potenzial in der Telemedizin und betrachte sie als einen Meilenstein in der Entwicklung der modernen Chirurgie.“

PD Dr. Magdalena Görtz, Oberärztin

OP-Team greift bei Bedarf ein

Für gefährlich halten aber weder die Oberärztin noch der Informatiker die Technik. „Klar, das Misslingen ist immer ein Szenario“, sagt Bastian Dewitz. „Aber dafür gibt es ja in der Medizin klar definierte Prozesse, um Worst-Case-Szenarien und Gefährdungen zu verhindern.“ Bei jeder Fern-OP sei beispielsweise ein komplettes OP-Team vor Ort bereit, um bei Problemen einzugreifen.

Robotik und Telemedizin werden die Welt verändern, da sind sich beide sicher. „Ich sehe großes Potenzial in der Telemedizin und betrachte sie als einen Meilenstein in der Entwicklung der modernen Chirurgie“, sagt PD Dr. Görtz. „Sie hat das Potenzial, den Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung weltweit zu verbessern und Spitzenniveau nicht nur an spezialisierten Zentren anzubieten.“ Es sei jedoch für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten besonders wichtig, vor solchen Eingriffen technische Herausforderungen und rechtliche Fragestellungen zu klären. Auch Bastian Dewitz sieht „großes Potenzial, Leben zu retten. Für mich ist das die Hauptmotivation: etwas schaffen, das für die Menschheit eine ­Bedeutung hat.“