
Ein freundliches Lächeln oder eine nette Geste: Auch Kleinigkeiten stärken das Immunsystem und halten im Alter gesund.
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Die Neuerfindung des Alterns
Wir erzählen uns die falschen Geschichten über das Älterwerden, findet die Langlebigkeitsexpertin Diane Hielscher: Statt über Krankheiten und Einsamkeit zu sprechen, sollten wir das Altern akzeptieren und lernen, es lebenswert zu gestalten.

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Diane Hielscher ist Journalistin, Autorin und Moderatorin. Auf ihrer Website lifexlab.de und in ihrem Podcast „Länger gut leben“ veröffentlicht sie Inhalte rund um die Themen Langlebigkeit, positive Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung.
Abenteuer statt Altenheim, Leichtigkeit statt körperlicher Leiden – der Traum einer ewigen Jugend begleitet die Menschheit seit Jahrhunderten. Trotzdem sind wir davon weit entfernt: Seniorenheime sind überfüllt, Pflegedienste überlastet. Menschen werden zwar im Schnitt immer älter, müssen sich gerade im sehr hohen Alter aber auch mit einem zunehmenden Krankheitsrisiko auseinandersetzen. Longevity – auf Deutsch Langlebigkeit – heißt die Bewegung, die dieser Entwicklung entgegenwirken will. Das Ziel: ein langes, aber gesundes Leben. In den USA ist um Longevity ein regelrechter Hype entstanden, der allmählich auch in Deutschland ankommt. Die Industrie dahinter boomt und verspricht schnelle Lösungen: So sollen etwa Nahrungsergänzungsmittel unsere Ernährung optimieren, Melatoningummibärchen für einen tieferen Schlaf sorgen und Besuche in Kältekammern entzündungshemmend wirken. Die Möglichkeiten sind scheinbar grenzenlos. Zu teuer und zu kompliziert, findet Diane Hielscher. In ihrem Podcast „Länger gut leben“ gibt die Journalistin ihren Hörerinnen und Hörern alltagstaugliche Gesundheitstipps.
Diane Hielscher liebt das Leben. Die Journalistin lacht gern und viel – beschreibt sich selbst als „spaßorientiert“. Mit dieser Haltung möchte sie alt werden. Seit 2017 beschäftigt sie sich deshalb mit wissenschaftlich fundierten Praktiken für ein gesünderes Leben. Die gibt sie in ihrem Podcast weiter in Folgen wie „Angst loswerden – mit Visualisierungen“, „Zwerchfellmassage – Verspannungen lösen“ oder „Kombucha gegen Demenz“.

Wie wir altern, hängt zu 80 Prozent vom Lebensstil ab, beispielsweise körperlicher Aktivität, sozialen Beziehungen, Ernährung und Interesse an Neuem.
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Ein bisschen unspektakulär, ein bisschen revolutionär: Was uns wirklich hilft
Mittlerweile besteht ihr Repertoire aus mehr als 100 Tipps. Diane Hielschers Favorit: das Helfen. Dazu gebe es mittlerweile viele Studien mit eindeutigen Ergebnissen, sagt sie. „Anderen zu helfen, verbessert nachweislich unsere Gesundheit. Zum Beispiel, indem es unser Immunsystem stärkt.“ Dafür reichen Kleinigkeiten – ein freundliches Lächeln oder eine nette Geste. Besonders gesundheitsfördernd seien auch Methoden zur Stressreduktion. „Wenn wir lernen, unseren Körper und Geist zu entspannen und unser Nervensystem zu regulieren, können wir damit ungesundem Stress entgegenwirken“, sagt sie. Dafür empfiehlt die Journalistin Techniken wie Meditation, Yoga, Atemübungen oder progressive Muskelentspannung. Diane Hielschers Tipps basieren auf fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen: „Die wichtigsten Faktoren im Zusammenhang mit Gesundheit und Langlebigkeit kennen wir schon lange“, sagt Dr. Christina Röcke, die als Co-Direktorin des Healthy Longevity Centers der Universität Zürich zu dem Thema forscht. Das seien vor allem Lebensstilfaktoren: körperliche Aktivität, soziale Beziehungen, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, wenig Stress, Neues lernen. Wie wir altern, hänge zu etwa 80 Prozent von diesen Kriterien ab.
„Wenn das Streben nach gesundem Altern stressig und belastend wird, ist das ein Warnsignal.“
Dr. Christina Röcke, Healthy Longevity Center

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Dr. Christina Röcke ist Co-Direktorin des Healthy Longevity Centers (HLC) der Universität Zürich, an dem zu gesundem Altern und gesunder Langlebigkeit geforscht wird. Zu ihren Schwerpunkten gehören unter anderem die emotionale Gesundheit und das Wohlbefinden sowie Alltagsaktivitäten im mittleren und hohen Erwachsenenalter.
Die Wissenschaft konzentriert sich in der Forschung auf solche und nicht mehr nur auf biologische Alterungsprozesse: „Gesundes Altern bedeutet, dass Menschen weiterhin Aktivitäten nachgehen können, die ihnen wichtig sind. Für den einen ist es das Gärtnern, für den anderen der Sonntagsbrunch mit Freunden.“ Ob das langfristig möglich ist, hänge von persönlichen Merkmalen ab – etwa dem Gesundheitszustand –, aber auch von individuellen Lebensumständen. Dazu gehört beispielsweise die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder eine barrierefreie Wohnumgebung.
Dr. Röcke beobachtet mit Freude, dass immer mehr Menschen Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen wollen. Gehen diese Bemühungen allerdings in Selbstoptimierung über, sieht sie das kritisch. „Wenn das Streben nach gesundem Altern anfängt, stressig zu sein und als belastend erlebt wird, ist das ein Warnsignal“, so Dr. Röcke. „Entscheidend ist die Frage: Ist es jemandem noch möglich, ein erfülltes Leben zu führen?“
Das Altern – der Endgegner?
Viele Vertreterinnen und Vertreter der Longevity-Bewegung sehnen sich nicht nur nach einem langen, sondern nach einem endlosen Leben. Sie betrachten Alterungsprozesse und die eigene Sterblichkeit als etwas, das es aufzuhalten gilt. Hilfreich ist diese Haltung nicht, belegt die Wissenschaft: „Wer eine positive, optimistische Vorstellung vom Altern hat, lebt im Durchschnitt 7,5 Jahre länger“, sagt Dr. Röcke. Negative Altersbilder würden dagegen das Risiko für Krankheiten wie Demenz erhöhen.
Die weitverbreitete Anti-Aging-Haltung scheint darüber hinaus unbegründet zu sein. Das belegen Studien zum „Zufriedenheitsparadox des Alterns“. Demnach sind ältere Erwachsene – trotz Verlusten oder Defiziten – überwiegend zufrieden mit ihrer Lebenssituation. „Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze“, so Dr. Röcke. „Offensichtlich gelingt es ihnen mithilfe unterschiedlicher Anpassungsprozesse, gut mit altersbedingten Veränderungen umzugehen: Anders als im jungen Alter haben Menschen in der zweiten Lebenshälfte meist nicht mehr den Anspruch, all ihre Vorhaben zu verwirklichen. Stattdessen wählen sie bewusst wenige Ziele aus, die machbar und gut miteinander vereinbar sind.“ Im Vordergrund stehe dabei zunehmend die Bemühung, bereits Erreichtes zu erhalten – etwa die eigene Gesundheit und Selbstständigkeit. Auch der eigene Maßstab verändere sich: Die Entscheidung, wann eigene Leistungen als gut genug empfunden werden, fällt insgesamt wohlwollender aus, sagt Dr. Röcke. Durch solche Anpassungen sei es einem Großteil der Menschen möglich, sehr lange ein gutes Leben zu führen. Altern ist also grundsätzlich kein Prozess, der krampfhaft aufgehalten werden müsste. Diane Hielscher und Dr. Röcke sind sich einig: Wir brauchen ein neues Altersbild – eines, das nicht den Tod hinauszögern, sondern durch gesunde Verhaltensweisen den Spaß am Leben verlängern will. „Denn was nützt es uns, 100 Jahre alt zu werden, wenn wir dabei nie wirklich Freude empfinden?“, fragt Diane Hielscher. „Wenn wir vor lauter Verbissenheit nicht mehr mit Freunden lachen oder unbeschwert ausgehen können? Wenn wir nie spontan eine Scheibe Weißbrot in Olivenöl eintauchen oder Rotwein zu einem Sonnenuntergang trinken können? Wo ist es denn dann: das lange, gute Leben?“