
Dr. Ivonne Rudolph (links) und Dr. Bettine Bilsing wollen, dass Erkrankte auch im Alltag mit Sport weitermachen, um Rückfälle zu verhindern.
Heilsamer Sport
Sport galt lange als zu riskant bei Krebserkrankungen. Inzwischen weiß man um seine heilsame Wirkung. Die Rehabilitationsklinik Bad Salzelmen setzt daher auf Aktivität.
Zu anstrengend, zu gefährlich: Lange Zeit scheute man davor zurück, Sport in der Krebstherapie zu verordnen. Krebspatientinnen und -patienten müsse man schonen, lautete die gängige Annahme. Die bräuchten alle Ressourcen. „Das ist heute zum Glück obsolet“, sagt Dr. Ivonne Rudolph, Projekt- und Prozesskoordinatorin der Rehabilitationsklinik Bad Salzelmen, einer Fachklinik für Orthopädie, Onkologie und Pneumologie in Schönebeck, Sachsen-Anhalt. Sie ist zudem Mitglied der Deutschen Krebsgesellschaft und leitet den Arbeitskreis Körperliche Aktivität der Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie (PRiO).
Das Umdenken, sagt Dr. Rudolph, habe bereits in den 1980er-Jahren eingesetzt. Die Sporthochschule Köln bot damals erste Krebsnachsorgekurse an. Diese wurden wissenschaftlich evaluiert. Damit konnte man die positiven Eigenschaften von Sport fundiert nachweisen. „Ein Durchbruch“, sagt Dr. Rudolph. Besondere Erfolge zeigten sich bei chronischem Fatigue-Syndrom, der chronischen Müdigkeit, unter der rund 80 Prozent aller Krebserkrankten leiden. Aber was macht sportliche Aktivität eigentlich so heilsam? „Sie regt die Durchblutung an, baut Muskeln auf, erhöht Ausdauer und Kraft“, sagt die Koordinatorin. Sport fordere Menschen zudem kognitiv, etwa, indem sie Bewegungsabläufe koordinieren müssen. Sportliche Aktivität habe aber auch eine psychosoziale Dimension. „Wer Sport treibt, erlebt sich selbst als aktiv und selbstwirksam. Das ist besonders für Menschen mit schwerer Erkrankung enorm wichtig.“
Ergänzend zur herkömmlichen Behandlung
In der Krebstherapie ist sportliche Aktivität dabei stets Ergänzung, nie Ersatz für herkömmliche Behandlungsmethoden wie etwa Chemotherapie. Jeder Patientin und jedem Patienten wird Sport nach abgeschlossener Therapie empfohlen. Immer häufiger wird er aber auch schon während der Therapie eingesetzt. Studien belegen, dass körperliche Aktivität positive Auswirkungen auf den weiteren Therapieverlauf hat. „Der Körper regeneriert sich dann schneller“, sagt Dr. Rudolph.
Besonders gut erforscht sind die positiven Auswirkungen sportlicher Aktivität bei Prostata-, Brust- und Darmkrebs. Grundsätzlich gebe es aber keine Krebserkrankung, bei der man von Bewegung abraten würde, sagt Dr. Rudolph. Wichtig sei allerdings, dass Menschen, die beispielsweise unter Bluthochdruck oder einer Gerinnungsstörung leiden, die Therapie vorher ärztlich abklären lassen.


Ob Wassergymnastik, Krafttraining oder Gehen: Sport hilft bei Krebs. Wichtig sind individuelle Trainingspläne – und Spaß an der Aktivität.
Individuelle Auswahl des Sportprogramms
Vorsichtig müsse man auch bei Knochenmetastasen sein, fügt Dr. Bettine Bilsing, Chefärztin der Abteilungen Onkologie und Pneumologie der Klinik, hinzu. Die Patientinnen und Patienten dürften nicht ruckartig anlaufen, nichts Schweres heben. Das sei in der Tat gefährlich. Grundsätzlich sagt aber auch sie: Sportliche Aktivität ist enorm wichtig – nicht nur in der Krebstherapie. „Der menschliche Körper und alle Organe sind evolutionär für einen aktiven Lebensstil ausgelegt. Bei unserer modernen Lebensweise kommt das oft zu kurz – mit den bekannten Folgen.“
Sportliche Betätigung macht in der Rehaklinik den Hauptteil der Therapie aus – sei es im Kraftraum, im Schwimmbecken, auf dem Gehpfad, bei Krankengymnastik oder Ergotherapie. „Zu 60 Prozent geht es um Bewegung, der Rest ist psychische Begleitung, Information und Ernährungstherapie“, sagt Dr. Bilsing. In Bad Salzelmen, dem ältesten Solebad Deutschlands, werden Rehamaßnahmen stationär, ganztägig ambulant und in der Rehanachsorge angeboten, passend zu den individuellen Bedürfnissen der Rehabilitanden. Aber welche Sportart bietet sich eigentlich an? Das Programm werde individuell angepasst, erklärt die Ärztin. „Wichtig ist, dass man etwas mit der Sportart anfangen kann. Wer beispielsweise die sanften Bewegungen von Tai-Chi nicht mag, wird sie auch nicht langfristig umsetzen.“ Auch Dr. Rudolph sagt: „Wenn jemand vor seiner Erkrankung leidenschaftlich gern Fußball gespielt hat, wird man diese Person nur schwer davon abbringen können.“ Besser geeignet seien allerdings Sportarten, bei denen es keine direkten Duelle gebe. „Unser Job ist es dann, Alternativen aufzuzeigen.“
„Unser Ziel ist es, die Menschen hier für Bewegung zu begeistern.“
Dr. Bettine Bilsing, Chefärztin
Eine Empfehlung von Dr. Rudolph ist das Tanzen. Dabei werden körperliche Aspekte wie Kraft, Ausdauer und Koordination trainiert, zugleich werden seelische und soziale Aspekte gefördert und die Angehörigen aktiv einbezogen. „Das tut beiden gut“, sagt die Expertin. „Für die Angehörigen ist die Situation ja auch belastend.“ Wichtig sei, dass der Erstkontakt mit der Sportart angeleitet von einem Profi geschehe.
Motivation nach der Therapie beibehalten
Die größte Herausforderung sei allerdings die Zeit nach der Therapie. „Wenn die Menschen aus dem Gröbsten raus und zurück im Alltag sind, lässt bei vielen der sportliche Ehrgeiz nach“, sagt Dr. Rudolph. Dabei sei es extrem wichtig, dranzubleiben. Regelmäßige körperliche Aktivität könne Rückfälle verhindern. Auch Dr. Bilsing sagt: „Unser Ziel ist es, die Menschen hier für Bewegung zu begeistern.“ Besonderes Augenmerk legen beide daher auf die Nachsorge. Das Programm IRENA – Intensivierte Rehabilitationsnachsorge der Deutschen Rentenversicherung erlaubt es Patientinnen und Patienten etwa, nach der Reha für 24 weitere Trainingseinheiten in die Klinik zu kommen. Danach, sagt Dr. Bilsing, gehe es darum, eigene Wege der sportlichen Betätigung zu finden, zum Beispiel über Kurse. „Das ist in Städten einfacher als auf dem Land. Aber auch in Gegenden ohne großes Kursangebot gibt es Möglichkeiten wie einen regelmäßigen Spaziergang.“
Auch zu Hause ist das individuelle Maß entscheidend. Grundsätzlich würde man 75 bis 150 Minuten sportliche Aktivität pro Woche empfehlen, sagt Dr. Rudolph, allerdings nicht am Stück. Wie diese genutzt werden, hänge von jeder und jedem selbst ab. Für Menschen mit stark ausgeprägtem Fatigue-Syndrom seien schon ein- bis zweimal fünf Minuten Aktivität wirksam, also auch ein leichter Spaziergang. Wer fitter sei, könne auch 30 Minuten walken oder Gartenarbeit verrichten. Zusätzlich sei leichtes Krafttraining empfehlenswert, etwa zweimal 30 Minuten pro Woche. Die Einsicht, dass sportliche Aktivität heilsam für Krebspatientinnen und -patienten ist, hat sich inzwischen auf breiter Basis durchgesetzt. Die in diesem Jahr erscheinende S3-Leitlinie „Bewegungstherapie bei onkologischen Erkrankungen“, eine ärztliche Behandlungsleitlinie, legt konkret fest, welche Bewegungsart für welche Erkrankung geeignet ist. „Ein Meilenstein“, sagt Dr. Rudolph.
Doch sportliche Aktivität ist nicht nur wichtig für Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Sie wirkt auch präventiv. Wer sich ausreichend bewegt und sich ausgewogen ernährt, reduziert das Risiko, an Krebs zu erkranken, um bis zu 40 Prozent. „Körperliche Aktivität“, sagt Dr. Rudolph, „tut allen gut.“