
Während seiner Reha-Aufenthalte schrieb Ingo Nauhaus in der Cafeteria am Buch „Wanderungen durch die Mark Aulendorf“.
Die fertigen Exemplare gibt es jetzt zu kaufen.
Der schreibende Patient
Nach einer erfolgreichen Krebstherapie kommt Ingo Nauhaus zur Anschlussheilbehandlung in das Parksanatorium Aulendorf. Er ist dort so zufrieden, dass er weitere Reha-Aufenthalte beantragt und mehrmals zurückkehrt. Über seine Erfahrungen schreibt er ein Buch.
Als Ingo Nauhaus im Herbst 2013 das erste Mal vor dem Parksanatorium Aulendorf steht, ist er unsicher. Kann er das, drei Wochen mit Menschen verbringen, die er nicht kennt, die ihm vielleicht auf die Nerven gehen?
Seine Frau hat ihn gefahren. Ingo Nauhaus selbst darf sich zu diesem Zeitpunkt nicht hinters Steuer setzen. Die Ärzte haben es verboten. Er hatte ein Stimmbandkarzinom, die Therapie liegt erst vier Wochen zurück. In Aulendorf ist er zur Anschlussheilbehandlung. Es dauert an jenem Herbsttag nicht lange, da beginnt seine Unsicherheit zu weichen. Schon die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Empfang seien überaus freundlich gewesen, sagt er. In den nächsten Tagen stellt er fest: Er mag auch die anderen Menschen. Er ist begeistert von der Ausstattung der Zimmer, dem breiten Angebot an Aktivitäten, dem guten Essen im Sanatorium. „Ich habe mich hier sehr schnell zu Hause gefühlt.“
Seine Tage verbringt er mit Visiten bei der Logopädie, mit Lymphdrainage, mit Atemgymnastik. Und mit der Tätigkeit, mit der er als freier Lektor auch beruflich in Verbindung kommt: Er schreibt. Seine erste Erzählung trägt den Titel „Der Aulendorfer Käfer“. Ingo Nauhaus, der Furcht vor Insekten hat, entdeckt das Tier in seinem Zimmer. Da er es nicht übers Herz bringt, den Käfer zu töten, versucht er, sich mit ihm zu arrangieren, was ihm sogar gelingt. Bis er ihn Tage später aus Versehen tottritt – und ihn gleich vermisst. „Selbstironisch“ sei die Erzählung, sagt er. Er stellt sie noch vor seiner Entlassung fertig.
Die Krebserkrankung von Ingo Nauhaus wurde erfolgreich therapiert und kam nicht zurück. Allerdings wurde er intensiv bestrahlt. Um die Langzeitwirkungen abzumildern, kehrt er zurück nach Aulendorf, zur Reha. Und das mehrmals. „Erhalt der Erwerbstätigkeit“ gibt er als Behandlungsgrund an. Er wird immer akzeptiert. Die Eindrücke seiner Aufenthalte hält er abermals schriftlich fest. Er setzt sich abends, wenn das Tagespensum erfüllt ist, mit seinem Laptop in die Cafeteria, ins örtliche Gasthaus oder in das italienische Restaurant und schreibt.
„Wanderungen durch die Mark Aulendorf“ nennt er das Buch, das daraus entsteht; in Anlehnung an Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Nur eine Nummer kleiner. „Spaziergänge“ seien es eher gewesen, räumt Ingo Nauhaus spöttisch ein. Es ist ein Humor, der sich durch das gesamte Buch zieht. Etwa, wenn er das Klinikpersonal beschreibt: Da ist der HNO-Arzt, der sich für Vogelarten interessiert und den Ingo Nauhaus kurzerhand als „examinierten Storchen- und speziell Milanexperten“ einführt. Da sind die Therapeutinnen und Therapeuten, die er „Keimzellen der Gesundung“ nennt und deren „humorvolle Art der Therapiegestaltung“ ihn „ganz enorm amüsiert“. Da sind aber auch die anderen Reha-Gäste. Etwa die fünfjährige Sophie, die immer pfeifend die Cafeteria betritt, gefolgt von ihrer Mutter und der etwas älteren Schwester. Beide Kinder schließt er besonders ins Herz. „Zwei Persönchen, die mein Leben nach dem Leben wunderschön bereichert haben“, schreibt er. „Es ist wirklich erstaunlich, wie Kinder einem sogenannten erwachsenen Menschen Kraft spendende Unbekümmertheit geben können. […] Einfach durch das Gefühl: Es geht weiter.“
„Ich habe mich hier sehr schnell zu Hause gefühlt.“
Ingo Neuhaus, Buchautor und ehemaliger Patient
Zielgruppe: Menschen, die zur Reha kommen
Im Frühjahr 2017 ist eine erste Version des Buches fertig. Doch statt froh zu sein, plagen Ingo Nauhaus nun Zweifel: Wer will das eigentlich lesen? Immer wieder setzt er sich an das Buch, überarbeitet Passagen, schleift an Formulierungen. Vergebens: Er findet keinen Abschluss. Dann kommt das Frühjahr 2024. Ingo Nauhaus ist für einen Überraschungsbesuch in der Klinik und trifft sich mit einer Ärztin, mit der er sich während seiner Rehas besonders gut verstand. „Was macht eigentlich ihr Buch?“, fragt sie ihn irgendwann. „Ad acta gelegt“, antwortet er. „Schade“, erwidert sie. „Sie sollten es unbedingt wieder angehen.“
Ingo Nauhaus schöpft neuen Mut. Seine Idee: Er will 200 Exemplare des Buches auf eigene Kosten drucken lassen, die Hälfte der Einnahmen soll ans Parksanatorium gehen. Potenzielle Leserinnen und Leser hat er auch im Kopf: Menschen, die wie er damals zur Reha nach Aulendorf kommen. Sie könnten sich in seinen Schilderungen wiederfinden. Das Buch wird in der Vitrine in der Cafeteria ausliegen und kann dort erworben werden. Für Ingo Nauhaus wurde der Aufenthalt in Aulendorf zu einem wahren Wendepunkt. Nicht nur die Klinik, auch die Umgebung hatte es ihm angetan. Immer wieder erwähnt er die Alpen, die er von dem Gelände aus sehen konnte. Die Landschaft bewegt ihn zu einem großen Schritt: Gemeinsam mit seiner Frau zieht er von Stuttgart in die Gegend. „Den Wechsel“, sagt er, „habe ich keine Sekunde bereut.“
Leseprobe

Kennen Sie Aulendorf?
Aulendorf ist eine Kleinstadt, obwohl sie „Dorf“ heißt, und liegt mit einigen Einwohnern zusammen im baden-württembergischen Oberschwaben.
Obwohl ich mich geographisch (zumindest im europäischen Raum) als einigermaßen kundig bezeichnen würde, war mir Aulendorf bis vor meinem (zunächst unfreiwilligen) Eintauchen in diese Region kein Begriff.
Ich hatte es zwar mal irgendwo in irgendeinem Zusammenhang gehört oder gelesen, wäre aber niemals in der Lage gewesen, dies wieder einzuordnen. Dabei war hier legendärer, nunmehr historischer, da nicht mehr existierender Traktorhersteller namens Lanz zugange, wie mir eine äußerst fachkundige Tischnachbarin im Aulendorfer Parksanatorium vermittelte.
Für Insider hingegen ist Aulendorf durchaus ein klingender Name, hier befindet sich zum Beispiel ein äußerst wichtiger Schienenverkehrsknotenpunkt zwischen Ost und West sowie Nord und Süd. Wer zum Beispiel mit der Bahn von Stuttgart oder Ulm zum Bodensee fahren will, kommt an Aulendorf kaum vorbei. Und da der Bahnverkehr so rege ist, falls er nicht zum Erliegen kommt, verfügt Aulendorf auch über einen dritten Durchgangsschienenstrang, damit wenigstens die Fernzüge dran vorbeikommen.
Zumindest stellte ich mir das zum Anfang meines Aufenthalts so vor.
Eine Regionalbahn führt nach Leutkirch, zwei weitere gehen in Richtung Friedrichshafen und nach Herbertingen oder sonstwohin, wenn gerade eine Strecke nicht wegen Bauarbeiten gesperrt ist.
Es wäre jedoch respektlos, wenn man Aulendorf nur für eine äußerst wichtige Verkehrsdrehscheibe hielte, die Stadt hat unter anderem auch einiges an mittelständischer Industrie zu bieten. Zum Teil war die alte bereits abgewandert oder pleite gegangen, sie wurde durch neue inzwischen bereichert. Zudem entzückt ein wahrhaftiges und obendrein schönes Schloss, mehrere Sportplätze, ein Veterinärinstitut, ein Thermalbad und eben auch ein Sanatorium komplettieren den Eindruck, dass es sich um eine Stadt handelt.
Und wer in dieser Stadt anzutreffen ist (die Gemeinde besitzt seit 1950 erstaunlicherweise und namentrotzend Stadtstatus, was letztlich in der Historie begründet ist), wartet entweder auf einen Anschlusszug oder knüpft geschäftliche Kontakte, will in einer warmen Brühe mit vielen anderen Menschen baden oder hat sich schlicht verlaufen beziehungsweise verfahren. Oder er hatte eine Krebserkrankung und ist zum Glück im Parksanatorium gelandet. Wie ich. Und damit sind wir mittendrin in der Geschichte.
Nicht, dass meine Leserschaft nun diverse Krankheitsepisoden erwarten, die sich um Krebs und dessen Therapie ranken, diese onkologische Einrichtung ist lediglich Ausgangspunkt und Drehscheibe für viele meines Erachtens bemerkens- und berichtenswerte Erlebnisse, die mir im Laufe von etlichen Wochen widerfuhren – quasi ein Erzählkatalysator, um das mal so salopp zu sagen. Aber hier und da erfordert das Verständnis des in und um Aulendorf herum Erlebten auch einen Exkurs in die Erkrankungsgeschichten, ich werde versuchen, die Belastbarkeit meiner Leser auf keine allzu harte Probe zu stellen. Notfalls warne ich vorher. Wenn ich mich noch daran erinnere.
Aulendorf – früher …
… und heute
Kurz zum Buchtitel: Ich hatte von meinem Fenster in der dritten Etage aus etwa fünf bis zehn Minuten lang (ich weiß es nicht genau, die Zeit verging wie im Flug) einen riesigen Storch beobachtet, der in kreisförmigen Figuren auf- und niederschwebte, ohne viel mit den Flügeln zu flattern. Beeindruckend, sehr beeindruckend. Und wäre majestätisch nicht so ein abgehangener Begriff, so würde ich ihn verwenden. Denn in Wirklichkeit waren Majestäten eher plumpe, unbewegliche Gestalten.
Es war zwar zunächst nur dieser eine Storch, den ich gesehen habe, und er bewog mich dennoch dazu, diesem Buch den Titel „Störche über Aulendorf“ zu vergeben. Denn, so viel sei jetzt schon verraten, Störche gibt es hier in Hülle und Fülle. Kinder womöglich nicht so viele …
Bei meinen diversen Aufenthalten begab ich mich nach den Anwendungen immer wieder und häufiger hinaus in die entzückende Natur ringsum. Und vor allem diese Eindrücke und Erlebnisse geben nun den Ausschlag, diesem Buch diesen Titel zu verleihen, da haben die Störche Pech gehabt. Dass er ein wenig von Theodor Fontane geklaut ist, kriegt der ja ohnehin nicht mehr mit.
Den Hintergrund für den Untertitel hingegen müssen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, jedoch selbst erarbeiten. Einfach mal loslesen, viel Vergnügen!