Medizin, Pflege & Therapie

Cannabis

Cannabis als Schmerzmittel

Lange als reine Droge wahrgenommen, hält Cannabis inzwischen Einzug in die Schmerz­therapie. Dr. Maximilian ­Köhler vom Ambulanten Schmerzzentrum Murnau über den Siegeszug einer unterschätzten Pflanze.

Text: Sascha Lübbe / Fotos: Anna-Kristina Bauer

Von Selbstmedikation mit Cannabis rät Dr. Maximilian Köhler dringend ab.

Herr Dr. Köhler, Cannabis ist seit April dieses Jahres legal. Davor haftete der Pflanze lange ein Schmuddelimage als Droge an. Ist das gesellschaftliche Bild von Cannabis falsch?
Es ist immer eine Frage, wie ich „Droge“ definiere. Man muss sich von falschen Vorstellungen lösen und schauen: Welche positiven Eigenschaften hat eine Substanz und welche negativen? Und dann abwägen.

Medizinisch wird Cannabis schon seit 2017 ­genutzt. Was macht die Pflanze für die Medizin so interessant?
Cannabis kann gewisse Erregungen abschwächen. In der Medizin, gerade bei Nervenschmerzen, haben wir damit die Möglichkeit, Schmerzen zu ­reduzieren.

Was passiert dabei im Körper?
Das menschliche Nervensystem besitzt sogenannte Cannabinoid-Rezeptoren. Hier können die Wirkstoffe der Cannabispflanze, die Cannabinoide, andocken. Es kommt dann zu einer Hemmung der Signalübermittlung, etwa bei Schmerzen.

Sie sagen, Cannabis hat noch weitere Effekte, die in der Medizin hilfreich sind.
Cannabis kann den Schlaf verbessern und das Stresserleben mindern. Es regt auch den Appetit an. Für einige Patientinnen und Patienten ist das ­wichtig.

Andererseits war Cannabis nicht ohne Grund illegal. Was ist mit kognitiven Einschränkungen?
Die Präparate, die wir verwenden, werden aus denselben Naturprodukten gewonnen wie das herkömmliche „Gras“. Die Wirkstoffe sind gleich, aber deutlich geringer dosiert. Allerdings kann es auch in der Schmerztherapie vereinzelt zu Schwindel, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche kommen.

Was halten Sie von Selbstmedikation?
Man muss eine klare Linie zwischen konsumierendem Verhalten und der Therapie ziehen. Wenn man über einen längeren Zeitraum Cannabis raucht, kann das zu schweren kognitiven Schäden führen. Von Selbstmedikation ist dringend abzuraten, es braucht die enge Begleitung durch Spezialistinnen und Spezialisten.

Mit welchen Beschwerden kommen die Patientinnen und Patienten in der Regel zu Ihnen?
Mit fast allen chronischen Schmerzen, darunter Rückenschmerzen, neurologische Erkrankungen, Nervenschmerzen. Aber auch mit Schlafstörungen.

Wie sieht typischerweise der bisherige Krankheitsverlauf Ihrer Patientinnen und Patienten aus?
Die meisten Patientinnen und Patienten haben bereits verschiedene Praxen besucht, teilweise eine stationäre Schmerztherapie hinter sich. Eine Canna­bistherapie ist erst möglich, wenn keine Standardmaßnahmen mehr durchgeführt werden können.

Wie läuft eine Schmerztherapie mit Cannabis ab?
Am Anfang stehen lange, intensive Gespräche mit den Patientinnen und Patienten. Kommt es zu einer Therapie, ist die immer eingebunden in ein multimodales Setting. Neben der Gabe des Medikaments gibt es dann psychotherapeutische und physikalische Maßnahmen.

„Eine Canna­bistherapie ist erst möglich, wenn keine Standardmaßnahmen mehr durchgeführt werden können.“

Dr. Maximilian ­Köhler

Bei akuten, unvorhersehbaren Schmerzattacken kann Cannabis inhaliert werden. Normalerweise wird das Medikament aber als Tropfen verabreicht.

Wie wird das Medikament verabreicht?
Normalerweise als Tropfen. Inhaliert wird es nur selten; bei akuten, unvorhersehbaren Schmerzattacken.

Wie lange dauert eine Therapie?
Verschreibt man das Präparat, dauert es in der Regel acht bis zwölf Wochen, bis erste Effekte messbar sind. Die Patientinnen und Patienten werden dabei eng begleitet, es wird immer geschaut: Kann die Dosis reduziert werden? Ist die Erkrankung, um die es geht, vielleicht sogar ausgeheilt? Meist handelt es sich allerdings um chronische Erkrankungen. Eine Cannabistherapie ist daher in der Regel auf einen langen Zeitraum ausgelegt.

Sie sagen, es gibt Fälle, in denen wirkt Cannabis besser als andere Medikamente in der Schmerztherapie.
Ja, zum Beispiel bei einer schmerzhaften Spastik im Rahmen einer Erkrankung an Multipler Skle­rose. Oder bei schmerzhaften Halbseitenlähmungen infolge eines Schlaganfalls.

Gibt es auch Fälle, in denen Sie Cannabis nicht verschreiben würden?
Bei Kindern und Jugendlichen halte ich es in der Regel für ungeeignet. Infrage kommt es da nur in sehr schweren Fällen wie Tumorerkrankungen, neurologischen Erkrankungen oder schweren Verletzungen. Ebenfalls ungeeignet ist Cannabis bei einigen orthopädischen Erkrankungen. Hier liegt der Schlüssel der Besserung oft in der Motivation der Patientinnen und Patienten.

Werden die Kosten für eine Cannabistherapie von der Krankenkasse übernommen?
Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nur, wenn es sich nachgewiesenermaßen um eine schwere Erkrankung mit erheblichen Einschränkungen im ­Privat- und im Arbeitsleben handelt. Und wenn keine alternativen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Gibt es Vorbehalte seitens der Patientinnen und Patienten gegen eine Cannabistherapie?
Natürlich gibt es vereinzelt Menschen, die Bedenken haben. Da stehen wir beratend zur Seite. Wir drängen niemanden. Seitdem Cannabis auch für den Privatgebrauch legalisiert worden ist, erleben wir allerdings eine erhöhte Nachfrage. Und das zu Recht: Ich erlebe, dass Patientinnen und Patienten, bei denen sehr viel versucht worden ist, erheblich von Cannabis profitieren. Verschiedene Studien zeigen, dass sich Schmerzen mit dem Medikament lindern, die Lebensqualität steigern und die Gabe von anderen Medikamenten reduzieren ­lassen. Insgesamt ist die Studienlage aber so, dass Can­nabis, wie erwähnt, erst verabreicht wird, wenn die Standardtherapien ausgeschöpft sind.