Medizin, Pflege & Therapie

Volkskrankheit

Bei chronischer Migräne gelingt es Dr. Dr. Markus Schlomm mit Botox meist, Migräne-Attacken deutlich zu reduzieren.

Botox gegen Migräne

Chronische Migräne ist zwar selten heilbar, die Beschwerden lassen sich aber häufig deutlich mildern. In der Behandlung kommt inzwischen ein Medikament zum Einsatz, das man eher mit kosmetischen Eingriffen in Verbindung bringt: Botox.

Text: Sascha Lübbe / Foto: Anna-Kristina Bauer

Ein pochender Schmerz, der bohrt und pulsiert. Der das Arbeiten unmöglich macht und dafür sorgt, dass man sich sozial isoliert. Migräne ist weit mehr als nur Kopfschmerz. Eine Volkskrankheit, von der rund fünf Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen in Deutschland betroffen sind. Und die Zahlen steigen. „Migräne ist eine Zivilisationskrankheit“, sagt Dr. Dr. Markus Schlomm, Chefarzt der Klinik für Neurologie an den Fachkliniken ­Wangen. „Dass die Erkrankungen zunehmen, hat auch mit unserer Lebensweise zu tun.“

Migräne ist eine Hirnerkrankung und eng mit Stress assoziiert. Normalerweise werden eingehende Reize vom Gehirn nach Sinn und Relevanz selektiert. Bei einer Migräne-Attacke gelingt das nicht mehr. „Auslöser können so unterschiedliche Anlässe wie Stress bei der Arbeit, Trubel auf dem Jahrmarkt oder ein Familienfest sein“, sagt Dr. Dr. Schlomm. Der Körper zwingt den Betroffenen dann, sich den Reizen zu entziehen – sich zurückzuziehen an einen Ort, an dem es leise und dunkel ist. Es gibt Berufsfelder, in denen tritt Migräne besonders häufig auf. Jobs mit hohem Lärmpegel zum Beispiel, auf einer Baustelle oder dem Flughafen – aber auch Berufe, bei denen es schnell zu einer Reizüberflutung kommt, wie bei Lehrerinnen und Lehrern. Hat der oder die Betroffene mindestens 15 Tage im Monat Kopfschmerzen, von denen mindestens acht migräneartig sind, spricht man von chronischer Migräne. Im Gegensatz zu „normalen“ Kopfschmerzen betreffen migräneartige Kopfschmerzen nur einen Teil des Kopfes. Sie sind meist mittelschwer bis schwer. „Migräne beginnt nicht selten schon in der Kindheit“, sagt Dr. Dr. Schlomm. „Wer die Krankheit hat, kennt den Unterschied.“

5 Tipps zur Migräne-Prävention

Guter Schlaf.

In der Regel circa acht Stunden. Nicht weniger, aber auch nicht mehr, da auch zu viel Schlaf Migräne-Attacken auslösen kann.

Regelmäßige Bewegung.

Am besten Ausdauersport, dreimal pro Woche à 45 ­Minuten. Zum Beispiel zügiges Nordic Walking, Jogging oder Schwimmen.

Bewusste Ernährung.

In Phasen häufiger Migräne-­Attacken sollte man histaminreiche Nahrung wie Schokolade, Rotwein oder Hartkäse meiden. Sie kann Migräne-Attacken auslösen.

Stabiler Biorhythmus.

Wenn möglich, zu regelmäßigen Zeiten aufstehen, essen, aktiv sein und ins Bett gehen.

Achtsamkeit.

Bewusst mit allen Sinnen bei dem sein, was man gerade tut.

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Fotos: Adobe Stock

Massive Ausfälle im Arbeits- und Privatleben

Das Problem: Migräne werde von Hausärztinnen und Hausärzten nicht selten bagatellisiert, sagt der Experte. Dabei handle es sich um eine der „folgenschwersten und unterversorgtesten Erkrankungen weltweit“. Es kommt zu massiven Ausfällen im Arbeits- und Privatleben. Die Nebenwirkungen reichen von Übelkeit und Erbrechen über Sprach- und Gleichgewichtsstörungen bis hin zu Lähmungen. Die Krankheit erhöht zudem die Gefahr eines Schlaganfalls.

Migräne ist meist nicht heilbar. Gegen die akuten Schmerzen werden in der Regel Mittel wie Ibuprofen, Paracetamol oder ASS verschrieben. Bei der Attackenbehandlung setzt man zudem auf sogenannte Triptane; Arzneistoffe, die eine Migräne-­Attacke abfangen oder mildern können. In der Prophylaxe kommen unter anderem Betablocker und Antikörper zum Einsatz.

Wurden diese Mittel lange genug verabreicht, ohne ausreichend zu wirken, oder wurden sie nicht vertragen, kann der Arzt zu einem Mittel greifen, das man eher aus dem kosmetischen Bereich kennt: Botox mit seinem Wirkstoff Botulinumtoxin. Die Krankenkasse übernimmt dann die Kosten. Dr. Dr. Schlomm behandelt Menschen mit chronischer Migräne seit 2016 mit Botox. Nach einem halben bis einem Jahr gelinge es meist, die Zahl der Tage mit Migräne-­Attacken deutlich zu reduzieren, sagt er. Ein großer Erfolg. Und die Behandlung hat einen Nebeneffekt: Botox wird bei Migräne unter anderem in die Stirn injiziert. Und macht dort, was man mit dem Medikament assoziiert: Es glättet die Haut.

In der Therapie wird die medikamentöse Behandlung mit Botox häufig um andere Maßnahmen ergänzt: Osteopathie mit Kraniosakraltherapie zum Beispiel, Akupunktur und Ergotherapie, aber auch Maßnahmen zur Prävention (siehe Tipps).

Die medizinische Botulinumtoxin-Ambulanz der Fachkliniken Wangen wurde kürzlich vom Arbeitskreis Botulinumtoxin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zertifiziert. Im mittleren Süden Deutschlands gab es bis dahin eine Lücke, was die Versorgung angeht. „Die haben wir damit geschlossen“, sagt Dr. Dr. Schlomm.